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Armadale



Achtes Kapitel.

Der Frühling war bis zum Ende des April vorgeschritten. Es war am Abend vor Allan’s Hochzeitstage. Midwinter und Allan hatten im Herrenhaus bis spät in die Nacht hinein zusammengesessen und geplaudert, sodaß es längst zwölf geschlagen hatte und der Hochzeitstag bereits einige Stunden alt war.

Zum größten Theil hatte sich ihr Gespräch um die Absichten und Projecte des Bräutigams gedreht. Erst als beide aufstanden, um sich zur Ruhe zu begeben, drang Allan darauf, daß nun auch Midwinter von sich und seinen Plänen spreche. »Von meiner Zukunft haben wir nun genug und übergenug geredet«, begann er in seiner kurzen geraden Weise. »Sprechen wir nun einmal von Deiner, Midwinter. Ich weiß, Du hast mir versprochen, daß Deine literarischen Bestrebungen uns nicht trennen sollen, und daß, wenn Du etwa zur See gehst, Du bei Deiner Rückkunft nicht vergißt, daß mein Haus Deine Heimat ist. Da wir aber heute zum letzten Male in unserer alten Weise bei einander sind, so möchte ich, das gestehe ich, gern wissen ——« Die Stimme versagte ihm und seine blauen Augen wurden feucht. Er ließ den Satz unbeendet.

Midwinter ergriff seine Hand und half ihm ein, wie er in frühem Zeiten ihm so oft die fehlenden Worte eingeholfen hatte.

»Du möchtest gern wissen, Allan«, sagte er, »daß ich kein krankes Herz zu Deinem Hochzeitstage mitbringe? Wenn Du mich etwas in die Vergangenheit zurückgreifen lassen willst, so denke ich Dich zufrieden stellen zu können.«

Sie setzten sich wieder. Allan sah, daß Midwinter bewegt war. »Warum Dich schmerzlich aufregen?« sagte er herzlich; »Warum die Vergangenheit heraufbeschwören?«

»Aus zwei Gründen, Allan. Längst hätte ich Dir für das Stillschweigen danken sollen, welches Du um meinetwillen in einer Sache beobachtet hast, die Dir sehr seltsam erschienen sein muß. Du weißt, wie der Name im Kirchenbuch lautet, unter dem meine Verheirathung eingetragen steht, und dennoch hast Du, um mich nicht in Verlegenheit zu setzen, vermieden, davon zu sprechen. Ehe Du in Dein neues Leben trittst, laß uns darüber zu einer ersten und letzten Verständigung kommen. Ich bitte ich, aus reiner Güte gegen mich die Versicherung zu genehmigen, wie seltsam Dir die Sache auch erscheinen mag, daß mich dabei kein Vorwurf trifft, und ich ersuche Dich zu glauben, daß die Gründe, welche ich habe, die Geschichte unaufgeklärt zu lassen, Gründe sind, welche Mr. Brock selbst, wenn er noch lebte, billigen würde.«

Dergestalt bewahrte er das Geheimniß der beiden Namen und tastete das Andenken an Allan’s Mutter, das jenem heilig war, nicht an.

»Noch ein Wort«, fuhr er fort, »ein Wort, das uns aus der Gegenwart in die Zukunft entführen wird. Es steht geschrieben und wahr geschrieben, daß aus dem Bösen Gutes kommen kann. Aus dem Schrecken und dem Elend jener Nacht, die Du kennst, ist die Beseitigung eines Zweifels erwachsen, welcher durch grundlose Angst Deinet- und meinetwegen dereinst mein Leben zu einem jammervollen machte. Jetzt werden keine Schatten, die mein Aberglaube heraufbeschwört, wieder zwischen uns treten. Aufrichtig darf ich Dir versichern, daß ich jetzt mehr willens bin wie damals, als wir uns zusammen auf der Insel Man befanden, die Sache, wenn ich mich so ausdrücken soll, vom rationellen Gesichtspunkte aus zu betrachten. Obwohl ich weiß, wie in unser aller Leben manchmal die Umstände gar wunderbar zusammentreffen, so lasse ich doch kein zufälliges Zusammentreffen des einen oder andern Umstandes als eine Erfüllung der Gesichte Deines Traums gelten. Früher glaubte ich, daß Dein Traum Dir gesandt wäre, um Dein Mißtrauen gegen den freundlosen Menschen zu erwecken, den Du als Bruder an Dein Herz gezogen hattest; jetzt weiß ich, daß er Dir als rechtzeitiger Wink kam, ihn noch fester an Dich zu ketten. Ist dies im Stande, Dir die Genugthuung zu verschaffen, daß auch ich hoffnungsvoll in einem neuen Leben entgegengehe; und daß, solange wir leben, Deine Liebe und die meinige nie wieder von einander lassen werden?«

Sie schüttelten sich stumm die Hände. Allan fand zuerst wieder Worte, wenige Worte herzlicher Betheuerung, die besten, die er dem Freunde sagen konnte.

»Alles, was ich von der Vergangenheit wissen wollte«, sprach er, »habe ich nun gehört, und weiß, was ich hauptsächlich hinsichtlich der Zukunft zu erfahren wünschte. Alle Welt sagt, Midwinter, daß eine große Laufbahn vor Dir liegt, und ich glaube, daß alle Welt Recht hat. Wer weiß, was für große Dinge geschehen mögen, ehe wir beide viele Jahre älter sind!«

»Wer braucht es zu wissen?« erwiderte Midwinter gelassen. »Mag geschehen, was da will, Gott ist allgütig, Gott ist allweise So, mein theurer Freund, schrieb er einst an mich. In diesem Glauben kann ich ohne Murren auf die Jahre zurückblicken, die dahin sind, und ohne Zweifel den Jahren entgegensehen, welche kommen werden.«

Er erhob sich und schritt dem Fenster zu. Ueber ihrem Gespräche war die Nacht vergangen. Das erste Licht des neuen Tages grüßte ihn und ruhte zärtlich auf seinem Antlitz.


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