Der Polizist und die Köchin
II.
Der Ermordete lag auf dem Rücken, wie der Arzt angegeben hatte; das Blut auf der Leinwand links an seinem Schlafrocke, gerade über dem Herzen, redete seine schreckliche Sprache. Soweit man urteilen konnte, wenn man wider Willen ein totes Angesicht betrachtet, musste er zu seinen Lebzeiten ein schöner junger Mann gewesen sein. Es war ein Anblick, welcher einen jeden aus das tiefste ergreifen musste, aber ich glaube, den schmerzlichsten Eindruck machte es, als meine Augen daneben auf sein unglückliches Weib sich richteten. Sie kauerte auf dem Fußboden in einer Ecke des Zimmers: eine kleine schwarze Frau, in lebhafte Farben gekleidet. Ihr schwarzes Haar und ihre großen braunen Augen ließen die entsetzliche Blässe ihres Gesichtes noch greller erscheinen, als sie in Wirklichkeit vielleicht war. Sie starrte uns grade an, ohne dass es schien, als wenn sie uns sähe. Wir redeten sie an, aber sie antwortete kein Wort. Man hätte sie für tot halten können wie ihren Gatten, wenn sie nicht fortwährend an den Fingern gepickt und dann und wann ein Schauer sie überlaufen hätte, als wenn sie friere.
Ich ging zu ihr und versuchte, sie aufzurichten. Sie sank mit einem Schrei zusammen, der mich fast in Schrecken versetzte, nicht weil er laut, sondern weil er dem Schrei eines Tieres ähnlicher als demjenigen eines menschlichen Wesens war. Wie vernünftig sie sich auch während ihres bisherigen Aufenthaltes bei der Hauswirtin betragen haben mochte, jetzt war sie nicht bei Verstand. Sei es nun, dass ich durch ein natürliches Mitleiden gerührt war, oder sei es, dass mein Gemüt vollständig in Verwirrung geraten war, so viel weiß ich nur, dass ich mich von ihrer Schuld nicht überzeugen konnte. Ich sagte sogar zu Frau Großcapel: »Ich glaube nicht, dass sie es getan hat.« Während ich sprach, klopfte es an der Tür. Ich ging sogleich hinab und öffnete zu meiner großen Erleichterung dem Inspektor, der von einem unserer Beamten begleitet war. Er wartete unten, um meinen Bericht zu hören, und billigte, was ich bereits getan hatte. »Es sieht aus, als wenn der Mord von jemand im Hause begangen worden sei« sagte er, ließ den ihm folgenden Beamten unten und ging mit mir in den zweiten Stock hinauf. Als er kaum eine Minute im Zimmer sich befand, entdeckte er einen Gegenstand, der meiner Wahrnehmung entgangen war. Es war das Messer, mit welchem die Tat begangen worden war. Der Arzt hatte es in dem Leichnam steckend gefunden, es herausgezogen, um die Wunde zu untersuchen, und hatte es alsdann auf den in der Nähe des Bettes stehenden Tisch gelegt.
Es war eins von jenen praktischen Messern, welche eine Säge, einen Pfropfenzieher und andere ähnliche Werkzeuge enthalten. Die große Klinge wurde, wenn offen, durch eine Sprungfeder festgehalten Das Messer war, die blutbefleckte Stelle ausgenommen, so glänzend, als wenn es erst gekauft worden wäre. Eine kleine Metallplatte war auf dem Hornstiel befestigt, welche eine Inschrift enthielt. Dieselbe war nur zum Teil eingraviert und begann: »Dem Johann Zebedäus von —«; das folgende fehlte seltsamerweise. Wer oder was hatte die Arbeit des Graveurs unterbrochen? Jede Vermutung war unmöglich. Nichtsdestoweniger wurde der Inspektor dadurch ermutigt. »Dies könnte uns helfen,« sagte er; dann hörte er aufmerksam dem zu, was Frau Großcapel ihm zu sagen hatte, indem er währenddem nach dem armen Geschöpf in die Ecke blickte. Nachdem die Hauswirtin mit ihrem Berichte zu Ende war, erklärte er, dass er nun den Mieter sehen müsse, welcher in dem anstoßenden Zimmer geschlafen habe. Herr Deluc erschien, indem er sich in die Tür des Zimmers stellte und mit Entsetzen den Kopf von dem sich ihm darbietenden Anblicke abwendete. Er war in einen prächtigen blauen Schlafrock mit goldenem Gürtel und Besatz eingehüllt. Seine Gesichtsfarbe war gelb; seine grünlich-braunen Augen waren von der Art der sogenannten Glotzaugen; es schien, als wenn sie aus dem Gesichte fallen könnten, wenn man einen Löffel unter sie hielt. Sein Schnurrbart und sein Geißbart waren schön parfümiert und, um seine Ausrüstung zu vervollständigen, hatte er eine lange dunkle Zigarre im Munde. »Es ist nicht Gefühllosigkeit bei diesem schrecklichen Auftritte,« erklärte er; »meine Nerven sind zerrüttet, Herr Polizei-Inspektor, und ich kann nur auf diesem Wege das Unglück wieder gut machen. Entschuldigen Sie mich gütigst und haben Sie Mitgefühl für mich.«
Der Inspektor verhörte diesen Zeugen scharf und genau. Er war nicht der Mann, sich durch den Schein irreführen zu lassen, aber ich konnte sehen. dass er weit davon entfernt war, an Herrn Deluc Gefallen zu finden oder ihm gar zu glauben. Nichts kam bei der Untersuchung heraus außer dem, was Frau Großcapel mir im wesentlichen schon mitgeteilt hatte.
Herr Deluc kehrte in sein Zimmer zurück. »Wie lange wohnt er bei Ihnen?« fragte der Inspektor, sobald Deluc ihm den Rücken gekehrt hatte.
»Beinahe ein Jahr,« antwortete die Hauswirtin.
»Gab er Ihnen Referenzen?«
»So gut als ich sie wünschen konnte.« Darauf nannte sie die wohlbekannte Firma einer Zigarrenhandlung in der Altstadt. Der Inspektor notierte die Auskunft in seinem Notizbuche.
Ich möchte lieber im einzelnen nichts erzählen, was sich zunächst zutrug. Es ist zu peinlich, dabei zu verweilen. Lassen Sie mich nur sagen, dass die arme geisteskranke Frau in einer Droschke nach dem Polizeigebäude gebracht wurde. Der Inspektor nahm selbst das Messer und ein Buch in Verwahrung, das auf dem Fußboden gesunden wurde und »Die Welt des Schlafs« betitelt war. Die Reisetasche, die das Gepäck enthielt, wurde verschlossen und dann die Türe des Zimmers verwahrt, indem die Schlüssel von beiden meiner Obhut überlassen wurden. Meine Instruktion ging dahin, im Hause zu bleiben und niemand zu erlauben, es zu verlassen, bis dass ich in Kürze wieder etwas von dem Inspektor hörte.
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