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Mann und Weib



Zweiundvierzigstes Kapitel - Nachrichten aus Glasgow

Nachdem die Briefe an Lady Lundie und an Mr. Crum am Montag expedirt waren, konnte man die Antworten mit der Post am Mittwoch Nachmittag in Ham-Farm erwarten. Inzwischen hielten Sir Patrick und Arnold mehr als eine geheime Conferenz in Betreff der delicaten und schwierigen Frage, ob man Blanche über das Vorgefallene aufklären wolle oder nicht. Der weise ältere Mann redete und der unerfahrene junge Mann hörte zu.

»Ueberlegen Sie sich die Sache«, sagte Sir Patrick, »ich rathe dazu«, und Arnold überlegte sich die Sache und befolgte Sir Patrick’s Rath nicht.

Mögen Alle, welche ihn dafür zu tadeln geneigt sind, sich erinnern, daß er erst seit vierzehn Tagen verheirathet war. Es ist gewiß hart für einen jungen Ehemanm der erst seit so kurzer Zeit im Besitz seiner Frau ist, vor sie als ein Missethäter hintreten und sich selbst eingestehen zu müssen, daß das allzu freigiebige Schicksal ihm neben der angebeteten Frau noch einen Racheengel in den Kauf gegeben habe.«

Am Mittwoch Nachmittag waren alle drei zu Hause und sahen nach dem Postboten aus. Unter den erwarteten Briefen befand sich, ganz wie Sir Patrick es vorausgesehen hatte, ein Brief von Lady Lundie. In Betreff der viel interessanteren von Glasgow erwarteten Nachrichten war nichts eingetroffen. Der Advocat hatte auf Sir Patricks Anfrage nicht mit umgehender Post geantwortet.

»Ist das ein schlechtes Zeichen?« fragte Blanche.

»Es ist nur ein Zeichen, daß etwas vorgefallen ist«, erwiderte ihr Onkel. »Vielleicht erwartet Mr. Crnm noch irgend eine specielle Auskunft, ehe er mir antwortet. Wir müssen also auf die morgende Post hoffen, liebes Kind!«

»Inzwischen öffne doch einmal Lady Lundie’s Brief,« bemerkte Blanche, bist Du gewiß, daß er für Dich und nicht für mich ist?«

Darüber konnte kein Zweifel bestehen, der Brief von Lady Lundie war ominöser Weise an Lady Lundie’s Schwager adressirt.

»Ich weiß, was das zu bedeuten hat«, sagte Blanche, indem sie ihren Onkel, während er den Brief las, scharf mit den Augen fixirte, »Wenn man Anne’s Namen erwähnt, insultirt man meine Stiefmutter; ich habe mich nicht genirt, den Namen zu nennen und folglich ist Lady Lundie von mir tödtlich beleidigt.«

Voreiliges Urtheil der Jugend. Eine Dame, die bei einem Familienereigniß eine würdige Haltung annimmt, ist niemals tödlich beleidigt, sie ist nur tiefbetrübt.

Lady Lundie nahm in dieser Sache eine würdige Haltung an. »Ich weiß recht gut«, schrieb diese höchst achtungswerthe und recht christliche Frau, »daß ich von Anfang an von der Familie meines theuren verstorbenen Gatten als ein Eindringling betrachtet worden bin, aber ich war doch kaum darauf gefaßt, mich von dem Vertrauen der Familie in einem Augenblick ausgeschlossen zu finden, wo es nur zu offenbar ist, daß eine ernste häusliche Katastrophe stattgefunden hat. Ich wünsche durchaus nicht, lieber Sir Patrick, mich aufzudrängen; da ich es jedoch völlig unvereinbar mit der gebührenden Achtung gegen meine eigene Stellung finde, nach dem was vorgefallen ist, mit Blanche zu correspondiren, so wende ich mich an das Haupt der Familie lediglich im Interesse der Schicklichkeit. Erlauben Sie mir, Sie zu fragen, ob Sie es unter Umständen, welche ernst genug,erscheinen, um meine Stieftochter und ihren Gatten von ihrer Hochzeitsreise zurückzurufen, angemessen finden, die Wittwe des verstorbenen Sir Thomas Lundie über die Gründe dieser Rückkehr vollständig im Dunkeln zu halten. Bitte, überlegen Sie sich das wohl, durchaus nicht aus Rücksicht für mich, sondern aus Rücksicht für Ihre eigene Stellung in der Gesellschaft. Neugierde ist, wie Sie wohl wissen, meiner Natur völlig fremd, aber wenn dieser fürchterliche Scandal gleichviel welcher Natur er sein mag, bekannt wird, —— und bekannt wird er, lieber Sir Patrick, unfehlbar werden —— was wird die Welt davon denken, wenn sie nach Lady Lundie’s Ansicht fragt und hören muß, daß Lady Lundie nichts davon gewußt hat. Wie auch Ihre Entscheidung ausfallen möge, ich werde mich nicht davon beleidigt fühlen; ich werde vielleicht verletzt sein, aber darauf kommt ja nichts an. Der kleine Kreis meiner Pflichten wird mich immer eifrig, immer heiter finden, und selbst wenn Sie mich von der Familie ausschließen sollten, werden meine Wünsche doch nichtsdestoweniger ihren Weg nach Ham-Farm finden. Und eine einsame Wittwe wird, füge ich auf die Gefahr hin, ein sarkastisches Lächeln bei Ihnen zu erregen, hinzu, für das Wohlergehen Aller beten.«

«Nun?« fragte Blanche.

Sir Patrick faltete den Brief zusammen und steckte ihn in seine Tasche. »Deine Stiefmutter spricht die besten Wünsche für Dich aus, liebes Kind.« Bei diesen Worten machte er eine anmuthige Verbeugung vor seiner Nichte und ging zum Zimmer hinaus.

»Ob ich es angemessen finde, wiederholte er, nachdem er die Thür hinter sich geschlossen hatte, »die Wittwe des verstorbenen Sir Thomas Lundie im Dunkeln zu lassen? Wenn eine Dame ein wenig gereizt ist, so halte ich es nicht nur für schicklich, sondern für höchst wünschenswerth, dieser Dame das letzte Wort zu lassen.« Er ging in seine Bibliothek und steckte die Strafpredigt seiner Schwägerin in einen Kasten mit der, Aufschrift »Unbeantwortete Briefe.« Nachdem er sich derselben in dieser Weise entledigt hatte, brummte er seine kleine schottische Lieblingsmelodie vor sich hin, setzte seinen Hut ans und ging wieder in den Garten, um sich zu sonnen.

Inzwischen war Blanche keineswegs völlig befriedigt von Sir Patrick’s Antwort; sie wandte sich an ihren Gatten. »Da ist etwas nicht in Ordnung«, sagte sie, »und Onkel verbirgt es vor mir.«

Arnold hätte sich keine bessere Gelegenheit wünschen können, als die, welche sich ihm in diesen Worten darbot, um Blanche die noch immer verschobene Eröffnung der Wahrheit zu machen. Er sah Blanche in die Augen, aber ein unglückliches Verhängniß ließ sie gerade an diesem Morgen besonders reizend erscheinen. Wie würde sie aussehen werden, wenn er die Geschichte von seinem Versteck im Gasthofe erzählte. Arnold war noch sterblich verliebt in sie und Arnold schwieg.

Die Post des nächsten Tages brachte nicht nur den erwarteten Brief von Mr. Crum, sondern gleichzeitig eine unerwartete Glasgower Zeitung. Dieses Mal hatte Blanche keine Ursache, sich darüber zu beklagen, daß ihr Onkel seine Correspondenz vor ihr geheim hielt. Nachdem er den Brief des Advocaten mit einem Interesse und einer Aufregung gelesen hatte, die deutlich zeigten, daß ihn der Inhalt überraschte, überreichte er den Brief Arnold und seiner Nichte. »Das sind schlimme Nachrichten«, sagte er, »wir müssen sie gemeinschaftlich tragen.«

Nachdem Mr. Crum sich zu dem Empfange des Auskunft erbittenden Briefes von Sir Patrick bekannt hatte, fing er an, Alles mitzutheilen, was ihm über Miß Silvester’s Bewegungen von der Zeit her, wo sie das »Schöpfen-Hotel« verlassen hatte, bekannt war. Ungefähr vor vierzehn Tagen hatte er einen Brief. von ihr erhalten, in welchem sie ihm mittheilte, daß sie einen passenden Aufenthaltsort auf einem Dorfe, in der Nähe von Glasgow gefunden habe. Da er sich lebhaft für Miß Silvester interessire, habe Mr. Crum, wie er schrieb, sie einige Tage später besucht und sich überzeugt, daß sie bei respectablen Leuten wohne und so comfortable eingerichtet sei, wie es die Umstände nur irgend erlaubten. Eine Woche lang habe er darauf nichts von der Danke gehört, dann aber wieder einen Brief von ihr erhalten in welchem sie ihm mittheilte, daß sie in der Glasgower Zeitung von demselben Tage etwas gelesen habe, was sie persönlich lebhaft interessire und was sie nöthigen werde, so rasch wie ihre Kräfte es erlaubten, nach Norden zu reisen. Später, wenn sie erst über ihre eigenen Bewegungen genauer unterrichtet sein werde wolle sie wieder schreiben und Mr. Crum wissen lassen, wohin er ihr, falls es nöthig werden sollte, schreiben könne, inzwischen wolle sie ihm nur für seine Güte danken und ihn bitten, Briefe und Botschaften, die etwa für sie eintreffen würden, in Empfang zu nehmen. Seit dem Empfang dieser Mittheilung habe Mr. Crum nichts weiter gehört, er habe die heutige Morgenpost in der Hoffnung abgewartet, daß er vielleicht im Stande sein werde, fernere Nachrichten mitzutheilen. Aber diese Hoffnung sei nicht in Erfüllung gegangen; er berichte nun Alles, was er selbst wisse, und lege ein Exemplar der Zeitung, auf welche Miß Silvester in ihrem Briefe Bezug nehme, für den möglichen Fall bei, daß eine genaue Prüfung derselben Sir Patrick möglicherweise zu ferneren Entdeckungen führen könne. Schließlich verpflichte er sich, wieder zu schreiben, sobald er irgend eine weitere Auskunft mitzutheilen haben werde.

Blanche griff nach der Zeitung und öffnete sie. »Laßt mich sehen«, sagte sie, »ich finde schneller als irgend Jemand, was Anne darin aufgefallen sein kann.«

Rasch ließ sie ihre Augen von Spalte zu Spalte und von Seite zu Seite über das Blatt schweifen, bis sie dasselbe endlich mit dem Ausdruck der Verzweiflung wieder in ihren Schooß sinken ließ.

»Nichts«, rief sie, »in dem ganzen Blatte nichts, wovon ich mir denken kann, daß es Anne interessirt haben könnte. Nichts, was irgend Jemand außer Lady Lundie interessiren könnte«, fuhr sie fort, indem sie die Zeitung ungeduldig minder. Hand von ihrem Schooße hinunterschob.

»Die Nachrichten von Swanhaven Lodge sind also wahr, Arnold, Geoffrey Delamayn heirathet Mrs. Glenarm.«

»Was!« rief Arnold, dem augenblicklich der Gedanke durch den Kopf fuhr, daß das die Nachricht sein müsse, die Anne in dem Blatte gelesen habe.

Sir Patrick warf ihm einen warnenden Blick zu und nahm die Zeitung vom Fußboden auf. »Es ist vielleicht ebenso gut«, sagte er, »daß auch ich dies Blatt einmal durchsehe, liebe Blache, und mich überzeuge, daß Dir nichts entgangen ist.«

Der Bericht, von dem Blanche eben gesprochen hatte, befand sich in einem »Nachrichten aus der vornehmen Welt« überschriebenen Artikel. »Wir können«, hieß es in dem Glasgower Blatt, »die eheliche Verbindung zwischen dem »ehrenwerthen« Geoffrey Delamayn und der liebenswürdigen und ausgezeichneten Wittwe des verstorbenen Mr. Mathew Glenarm, dem ehemaligen Miß Newenden, unsern Lesern als bevorstehend melden; die Hochzeit wird, aller Wahrscheinlichkeit nach, noch vor Ende des Herbstes in Schottland gefeiert werden und das Hochzeitsfrühstück wird, wie man sich erzählt, eine große und elegante Gesellschaft in Swanhaven Lodge versammeln.«

Sir Patrick reichte Arnold die Zeitung schweigend hinüber. Für jeden, der Anne Silvester’s Geschichte kannte, mußte es klar sein, daß dies die Worte waren, die ihren verhängnißvollen Weg zu ihr, an den Ort ihrer stillen Zurückgezogenheit gefunden hatten. Der Schluß, der sich daraus ziehen ließ, schien kaum weniger klar. Ihre Reise nach dem Norden konnte nur einen Zweck haben. Das verlassene Weib hatte sich, mit dem letzten Rest seiner alten Energie gewaffnet, zu dem verzweifelten Entschluß aufgerafft, der Heirath Mrs. Glenarm’s Einhalt zu thun.

Blanche war die erste, welche das Schweigen brach. »Es ist doch, als ob ein Verhängniß über uns schwebte«, sagte sie, »Alles schlägt fehl, nichts als Enttäuschungen. Sollen Anne und ich uns denn nie wiedersehen?«

Sie sah ihren Onkel an.

Dieses Mal sprach sich in Sir Patricks Wesen nichts von der Heiterkeit aus, die er sonst dem Unglück gegenüber zu bewahren pflegte. »Sie hat«, sagte er, »versprochen, Mr. Crum zu schreiben, und Mr. Crum hat versprochen, uns, sobald er etwas von ihr hört davon zu benachrichtigen. So stehen die Sachen und wir müssen mit so viel Resignation wie möglich darein finden.«

Verdrießlich stand Blanche wieder auf und ging in’s Treibhaus. Als Sir Patrick mit Arnold wieder allein war, machte er keinen Hehl aus dem Eindruck, den Mr. Crum’s Brief auf ihn gemacht hatte.

»Wir dürfen uns darüber nicht täuschen«, sagte er, »daß die Dinge eine sehr ernste Wendung genommen haben. Alle meine Pläne und Berechnungen sind über den Haufen geworfen. Es ist unmöglich vorauszusehen, zu welchem neuen Unheil es führen kann, wenn diese beiden Frauen zusammentreffen, und welchen Akt der Verzweiflung Mr. Delamayn begehen wird, wenn er sich zum Aeußersten getrieben sieht. Wie die Dinge sich jetzt gestaltet haben, gestehe ich offen, nicht zu wissen, was wir thun sollen. Ein großer Presbyterianischer Gottesgelehrter«, sagte er in einem plötzlichen Anflug seiner ironischen Laune hinzu, »erklärte einmal in meiner Gegenwart die Erfindung der Buchdruckerkunst für ein Werk des Teufels. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich geneigt, ihm beizustimmen.«

Bei diesen Worten hatte er die Glasgower Zeitung, welche er vorhin bei Seite gelegt hatte, mechanisch wieder in die Hand genommen. »Was ist das!« rief er, als eine der ersten Zeilen, auf die sein Blick zufällig fiel, seine Aufmerksamkeit auf sich zog. »Wieder Mrs. Glenarm? Wollen sie die Wittwe des Eisenwerksbesitzers zu einem öffentlichen Charakter machen?«

Wirklich stand der Name der Wittwe zum zweiten Mal gedruckt da und zwar dieses Mal in einem, dem Genre der chronique scandaleuse angehörenden Brief eines besonderen Correspondenten unter der Ueberschrift »Tagesbegebenheiten im Norden.«

Nachdem der Correspondent behaglich über die Aussichten der Jagdsaison, über die Pariser Moden, über den Unfall eines Touristen und über einen scandalösen Austritt in der schottischen Kirche geplaudert hatte, ging er zu der Erzählung eines interessanten Vorfalles über, der sich an eine Heirath in der vornehmen Welt knüpfte »Ungewöhnliches Anfsehen«, schrieb der Correspondent, »habe es in Perth und dessen Umgegend gemacht, daß eine distinguirte Dame der Gegenstand eines anonymen Erpressungs-Versuches geworden sei. Da ihr Name bereits in einer Zuschrift an die Gerichte öffentlich genannt worden sei, so könne es kein Bedenken haben, mitzutheilen, daß die fragliche Dame Mrs. Glenarm sei, auf deren bevorstehende eheliche Verbindung mit dem »ehrenwerthen« Geoffrey Delamayn bereits in einer anderen Spalte dieses Blattes hingewiesen worden ist. Mrs. Glenarm habe, wie es scheint, den Tag nach ihrer Ankunft in dem Hause einer Freundin, in der Nähe von Perth, einen anonymen Brief empfangen; der Brief habe die Warnung enthalten, daß ein ihr selbst vermuthlich unbekanntes Hinderniß ihrer mit Mr. Geoffrey Delamayn bevorstehenden Verbindung im Wege stehe. Dieser Herr, so habe der Brief seine Warnung begründet, habe bereits ein ernstes Verhältniß zu einer andern Dame, und diese Dame werde sich seiner Heirath mit Mrs. Glenarm, mit schriftlichen Veweisen der Berechtigung ihres Anspruchs ausgerüstet, widersetzen. Diese Beweise beständen in zwei, zwischen den Betreffenden gewechselten und von ihnen unterschriebenen Briefen und die Correspondenz stehe Mrs. Glenarm unter folgenden Bedingungen zur Verfügung: Erstens, daß sie einen hinreichend hohen Preis offerire, um den gegenwärtigen Besitzer der Briefe zu bewegen, sich von ihnen zu trennen. Zweitens, daß sie sich dazu verstehe, das Geld in einer Weise zu bezahlen, welche die betreffende Person davor sicher stelle, nicht mit den Gerichten in Conflict zu gerathen. Die Antwort auf diese beiden Vorschläge wurde in Gestalt einer Anzeige in dem Localblatt unter der Adresse! »An einen Freund im Verborgenen« erbeten. Gewisse Wendungen in diesem anonymen Schreiben und ein Paar orthographische Fehler, legten die Vermuthung nahe, daß dieses unverschämte Machwerk von einem Schotten niederen Standes herrührte. Mrs. Glenarm habe das Schreiben sofort ihrem nächsten Verwandten, Capitain Newenden gezeigt, und dieser habe den Rath eines Rechtsfreundes in Perth gesucht. Nach reiflicher Ueberlegung des Falles habe man beschlossen, die verlangte Antwortsanzeige zu erlassen, gleichzeitig aber Maßregeln ergriffen, dem Schreiber des Briefes eine Falle zu stellen, so daß es ihm nicht möglich werden würde, Nutzen aus seinem Erpressungsversuch zu ziehen. Die Schlauheit des »Freundes im Verborgenen, wer er auch sein möge, habe sich aber größer erwiesen, als die Klugheit der Advocaten; mit großem Geschick war er nicht nur dem ersten, sondern auch einem späteren Versuche, ihm eine Falle zu stellen, aus dem Wege gegangen. Mrs. Glenarm hatte darauf einen zweiten und auch noch einen dritten anonymen Brief, den einen noch unverschämter als den andern, erhalten, in welchen der Dame und den für sie thätigen Freunden die Versicherung gegeben wurde, daß sie nur ihre Zeit vergeudeten und den Preis für die Correspondenz unnöthig steigerten. Darauf habe sich Capitain Newenden an die städtischen Behörden gewandt und mit Genehmigung derselben eine Belohnung auf die Entdeckung des Schreibers ausgesetzt. Nachdem auch dieses Verfahren völlig erfolglos geblieben sei, habe, wie man hört, Capitain Newenden unter dem Beistande seiner englischen Advocaten, Vorkehrungen getroffen, die Sache den Händen eines erfahrenen Londoner Polizei-Agenten zu übergeben. Soweit sei, schrieb der Zeitungs-Correspondent, die Sache gediehen, er finde es nur noch erforderlich, hinzuzufügen, daß Mrs. Glenarm, um sich ferneren Unannehmlichkeiten zu entziehen, die Umgegend von Perth verlassen und sich unter den Schutz von Freunden in einen andern Theil der Grafschaft begeben habe.

Mr. Geoffrey Delamayn, dessen Ruf, wie grundloser Weise, fügte der Correspondent in einer Paranthese hinzu, brauche er wohl nicht zu bemerken, angegriffen worden sei, habe, wie man höre, mit dem Ausdruck einer unter den Umständen höchst natürlichen Entrüstung sein lebhaftes Bedauern darüber zu erkennen gegeben, daß er sich nicht in der Lage befinde, Capitain Newenden bei seinen Bemühungen, den anonymen Verläumder in die Hände der Gerechtigkeit zu liefern, behülflich zu sein. Der »ehrenwerthe« Herr sei, wie dem Publicum wohl bekannt, im Begriff, sich für sein bevorstehendes Erscheinen bei einem Wettlaufe scharf trainiren zu lassen und es werde für so wichtig erachtet, bei seiner gegenwärtigen verantwortlichen Stellung jede Gemüthsbewegung von ihm fernzuhalten, daß sein Trainer und seine Freunde es für wünschenswerth hielten, seine Entfernung nach Fulham zu beschleunigen, wo jetzt die Uebungen, durch welche er sich auf den Wettlauf vorbereite, an dem Orte des Wettlaufs selbst fortgesetzt würden.«

»Das Dunkel scheint immer dunkler zu werden,« sagte Arnold.

»Ganz im Gegentheil,« bemerkte Sir Patrick vergnügt, »das Dunkel klärt sich, Dank der Glasgower Zeitung, rasch auf. Miß Silvester ist nach Perth gegangen, um ihren Verlornen Brief wieder zu erlangen.«

»Glauben Sie«, fragte Arnold, indem er auf die Zeitung wies, »daß sie in dem hier erstatteten Bericht ihren verlorenen Brief wieder erkannt haben wird?«

»Gewiß, und noch mehr. Wenn mich nicht Alles trügt, so ist sich Miß Silvester über die Person des anonymen Verfassers der Drohbriefe völlig klar.«

»Wie sollte sie den errathen haben?«

»Sehr einfach; es muß ihr nachgerade, was sie auch früher gedacht haben mag, jetzt der Gedanke gekommen sein, daß der von ihr vermißte Brief nicht verloren, sondern gestohlen ist. Nun kann sie aber nur zwei Leute des Diebstahls für schuldig halten: Mrs. Inchbare oder Bishopriggs. Der Zeitungsartikel hier bezeichnet den Styl der anonymen Briefe als den eines Schotten von geringem Stande, weist also deutlich auf, Bishopriggs als Verfasser hin. Ist Ihnen das klar? Nun gut; nehmen Sie also an, daß Miß Silvester sich wieder in den Besitz des gestohlenen Briefes gesetzt hat, was wird sie aller Wahrscheinlichkeit nach dann thun? —— Sie müßte kein Weib sein, wenn sie sich nicht demnächst, mit ihren schriftlichen Beweisen ausgerüstet, auf den Weg zu Mrs. Glenarm machte. Was sie aber auch thun mag, ob sie uns nun, ohne sich dessen bewußt zu sein, in der Erreichung unseres Zweckes fördert oder hemmt, gleichviel, unser Verfahren ist uns in jedem Falle klar vorgezeichnet Unser Interesse, uns mit Miß Silvester in Verbindung zu setzen, bleibt dasselbe wie ehe wir die Glasgower Zeitung gelesen hatten. Ich schlage vor, daß wir aus den möglichen Fall hin, daß Mr. Crum inzwischen wieder schreibt, bis Sonntag warten; wenn wir bis dahin nichts von ihm hören, werde ich Montag Morgen nach Schottland reisen und sehen, ob ich nicht durch Mrs. Glenarms Vermittlung zu Miß Silvester gelangen kann.«

»Und ich soll hier bleiben?«

»Sie sollen hier bleiben. Jemand muß doch bei Blanche bleiben; muß ich Sie, nachdem sie erst vierzehn Tage verheirathet sind, daran erinnern?«

»Glauben Sie nicht, daß Mr. Crum vor Montag schreiben wird?«

»Es wäre das ein für uns so günstiger Umstand, daß ich es kaum zu hoffen wage.«

»Sie glauben nicht mehr an unser Glück, Sir Patrick!«

»Ich hasse solche Redensarten, lieber Arnold, aber ich muß bekennen, dieses Mal haben Sie mit Ihren Worten meine Stimmung so treffend characterisirt, daß ich mir Ihren Ausdruck schon gefallen lassen muß.«

Aber Arnold ließ sich durch diese Antwort nicht irre machen und sagte: »Für Jeden schlägt früher oder später die Stunde des Glücks und ich glaube fest, daß auch unser Glück noch einmal blühen wird. Wollen Sie wetten, Sir Patrick?«

»Ich wette nie. Das Weiten und die Wartung meiner Pferde überlasse ich meinem Stallknechte.« Mit dieser mürrischen Antwort schloß Sir Patrick für heute die Unterhaltung.

Die Stunden vergingen, und wieder traf zu rechter Zeit die Post ein und entschied zu Arnold’s Gunsten. Sir Patrick’s Mangel an Vertrauen auf die Gunst des Glücks wurde durch die Ankunft eines zweiten Briefes des Glasgower Advocaten, am nächsten Tage practisch widerlegt.

»Ich habe die Ehre, Ihnen mitzutheilen,« schrieb Mr. Crum, »daß ich, nachdem ich meinen Brief nach Ham Farm abgesandt hatte, mit der nächsten Post von Miß Silvester gehört habe. Sie schrieb mir kurz, daß sie sich entschlossen habe, ihren Aufenthalt demnächst in London zu nehmen. Der Grund, welchen sie für diesen Schritt an den sie, als ich sie zuletzt sah, offenbar noch nicht dachte, angiebt, ist die fast gänzliche Erschöpfung ihrer pecuniären Mittel. Sie schreibt weiter: Nachdem sie sich entschlossen habe, sich eine Existenz als Concertsängerin zu gründen, habe sie bereits Schritte gethan, ihr Interesse den Händen eines alten Freundes ihrer verstorbenen Mutter, einem seit lange in London etablirten Concertunternehmer, der selbst früher Musiker von Profession gewesen zu sein scheint und ihr als vertrauenswürdig und respectabel bekannt sei, anzuvertrauen. Ich füge Namen und Adresse dieses Mannes, die sie mir für den Fall aufgiebt, daß ich Veranlassung haben sollte, ihr vor ihrer Niederlassung in London zu schreiben, auf einliegendem Zettel bei. Das ist der wesentliche Inhalt ihres Briefes. Ich habe nur noch hinzuzufügen, daß derselbe nicht die leiseste Andeutung über den Grund ihrer plötzlichen Abreise von Glasgow enthält.«

Sir Patrick war zufällig allein, als er Crum’s Brief öffnete. Das Erste was er that, nachdem er ihn gelesen hatte, war, daß er den Fahr-Plan der Eisenbahn, welcher in der Vorhalle hing, zu Rathe zog. Nachdem er das gethan hatte, kehrte er in die Bibliothek zurück, schrieb ein kurzes Billet, mit der Bitte um Auskunft, an den Concertunternehmer in London und klingelte. »Miß Silvester wird in London erwartet, Duncan, ich brauche einen discreten Menschen, um mich mit ihr in Verbindung zu setzen.«

Duncan verneigte sich. Sir Patrick übergab ihm das Billet und sagte: »Wenn Du Dich gleich auf den Weg machst, so kannst Du den Zug noch erreichen, begieb Dich sofort nach Deiner Ankunft in London, nach der auf der Adresse dieses Billets angegebenen Wohnung und frage nach Miß Silvester. Wenn sie schon dort ist, richte ihr meine Empfehlung aus und sage ihr, ich würde die Ehre haben, sie in der Angelegenheit des Mr. Brinkworth zu einer von ihr beliebig zu bestimmenden Zeit zu besuchen. Wenn Du Deinen Auftrag rasch ausrichtest, kannst Du noch mit dem letzten Zuge wieder herkommen. Sind Mr. Brinkworth und seine Frau schon von ihrer Spazierfahrt zurück?«

»Nein, Sir Patrick!«

Die Zeit bis zur Rückkehr von Arnold und Blanche benutzte Sir Patrick dazu, Mr. Crum’s Brief zum zweiten Mal anzusehen. Er glaubte nicht recht daran, daß die angebliche Erschöpfung ihrer Geldmittel der wahre Grund von Anne’s Reise nach London sei. Er erinnerte sich, daß Geoffrey sich mit seinem Trainer nach dem in unmittelbarer Nähe von London gelegenen Fulham begeben habe, und fürchtete daher, Anne möge durch einen ernsten Streit mit Mrs. Glenarm zu dem Entschlusse gebracht worden sein, sich direct an Geoffrey zu wenden. In diesem Falle wollte Sir Patrick Miß Silvester seinen Rath und seine Hilfe unbedenklich zur Verfügung stellen. Mit der Geltendmachung ihres Anspruchs gegen den Anspruch Mrs. Glenarm’s stellte sie sich zugleich als unverheirathet hin und diente damit Blanche’s Interessen nicht minder als ihren eigenen. »Ich bin es Blanche schuldig, Anne Silvester zu helfen«, dachte Sir Patrick; »und bin es mir selbst schuldig, Geoffrey Delamayn, wo möglich, einen Tag der Vergeltung zu bereiten.«

Das: Bellen der Hunde im Hof kündigte die Rückkehr des Wagens an. Sir Pakrick ging hinaus, um Arnold und Blanche an der Pforte zu empfangen und ihnen die empfangene Nachricht mitzutheilen.

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Pünktlich wie immer, erschien der discrete Duncan in dem Augenblick, wo er zurückerwartet wurde, mit einem Billet des Concertunternehmers ans London, in welchem derselbe meldete: Miß Silvester sei noch nicht in London eingetroffen, werde aber spätestens am Dienstag der kommenden Woche erwartet. Der Agent habe bereits Weisung von ihr erhalten, jedem ihm etwa von Sir Patrick Lundie zugehenden Auftrag auf das Genaueste auszurichten. Er werde Sorge tragen, daß Sir Patricks Botschaft Miß Silvester unmittelbar nach ihrer Ankunft mitgetheilt werde. Hier war also endlich eine Nachricht, auf die man sich verlassen konnte! Hier eröffnete sich eine Aussicht, Anne wiederzusehen! Blanche strahlte vor Glück. Arnold war zum ersten Mal seit seiner Rückkehr von Baden in bester Laune.

Sir Patrick gab sich große Mühe, sich von der Heiterkeit seiner jungen Freunde anstecken zu lassen, aber diese Bemühung erwies sich zu seinem eigenen Erstaunen als völlig fruchtlos. Trotz der entschieden günstigen Wendung der Dinge und obgleich er der Nothwendigkeit einer in ihrem Erfolge zweifelhaften Reise nach Schottland überhoben und seiner Zusammenkunft mit Anne in wenigen Tagen gewiß war, konnte Sir Patrick gleichwohl den ganzen Abend eine gewisse Niedergeschlagenheit nicht los werden.

»Sie glauben noch immer nicht an unser Glück!« rief Arnold, als er die letzte Partie mit Sir Patrick beendigt hatte und ihm Gute Nacht sagte. »Bessere Aussichten, als sie sich uns für die nächste Woche eröffnen, könnten wir uns doch wahrhaftig nicht wünschen! Wie?«

Sir Patrick legte seine Hand auf Arnold’s Schulter und sagte in seiner komisch, ernsten Weise: »Lassen Sie uns das demüthigende Schauspiel der Thorheit eines alten Mannes mit Nachsicht betrachten. Mir ist zu Muth, als möchte ich Alles, was ich auf der Welt besitze, darum geben, die nächste Woche glücklich überstanden zu haben.«

»Aber, warum denn?«

»Das ist ja eben die Thorheit, lieber Arnold, ich kann Ihnen nicht sagen, warum. Trotz so vieler Gründe, in besserer Laune zu sein als gewöhnlich, kann ich mich einer unvernünftigen, aber unüberwindlichen Mißstimmung nicht erwehren. Woher kommt das? Liegt meiner Stimmung vielleicht unbewußt eine böse Ahnung zu Grunde? Oder beruhet sie nur auf einer vorübergehenden Indisposition meiner Leber? Das»ist die Frage, aber wer soll sie entscheiden? Was ist doch der Mensch für ein elendes Geschöpf, Arnold! Geben Sie mir mein Licht und lassen Sie uns hoffen —— daß meine Leber allein für meine Stimmung verantwortlich sei.«


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