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Nicht aus noch ein



Zweiter Act

Vendale liebt.

Sommer und Herbst waren vergangen. Weihnachten und Neujahr rückten heran.

Mit redlichem Bestreben ihre Pflicht als Testamentsvollstrecker zu erfüllen, hielten Bintrey und Vendale mehr als eine eingehende Berathung über Wildings letzten Willen ab. Der Rechtsmann erklärte, daß es geradezu unmöglich sei, einen fördernden Schritt in dieser Angelegenheit zu thun. Die einzigen Nachforschungen, die anzustellen wären, seien von Wilding schon gemacht worden und zwar mit dem Ergebnis, daß Zeit und Tod in Gemeinschaft handelnd, jede Spur von dem Verlorenen ausgelöscht hätten. Wenn man die an den Besitz, Anspruch Habenden öffentlich ausrufen wolle, so müsse man auch dazu schreiten, Einzelheiten anzuführen —— ein Verfahren, welches die Hälfte aller in England lebenden Betrüger anspornen würde, sich für den wahren Walter Wilding, auszugeben. »Bietet sich uns eine Aussicht, die Spur des Verlorenen aufzufinden, so wollen wir sie ergreifen, bietet sie sich nicht, so wollen wir am ersten Jahrestage nach Wildings Tode zu einer neuen Berathung zusammenkommen.« Das war Bintrey’s Vorschlag und trotz dem ernstlichen Willen, des verstorbenen Freundes Wünschen nachzukommen, sah sich Vendale gezwungen, die Sache für jetzt ruhen zu lassen.

Seinen Blick aus der Vergangenheit in die Zukunft richtend, gewahrte Vendale, daß er einem zweifelvollen Unternehmen gegenüberstehn Monate und Monate waren seit jenem ersten Besuch in Soho-Square vergangen —— und in der ganzen Zeit war das einzige Mittel, Maguerite seine Liebe zu gestehen, die Sprache der Augen geblieben, unterstützt bei sich darbietenden Gelegenheiten von der Sprache der Hände.

Und welches Hinderniß stand ihm denn im Wege? Das einzige unüberwindliche Hinderniß welches sich von Anfang an hineingedrängt hatte. Wie schön sich auch die Gelegenheit anließ, sobald Vendale einen Versuch wagte, mit Margueriten zu sprechen, so endete einer wie der andere in derselben Weise. Obenreizer —— durch den glaubwürdigsten Zwischenfall und auf die unschuldigste Weise von der Welt dazu gekommen —— schnitt ihm jedes mal die Gelegenheit ab. Mit den letzten Tagen im alten Jahr eröffnete sich unerwartet die Aussicht, einen Abend in Marguerites Gesellschaft zuzubringen. Vendale war entschlossen, daß an diesem Abend ihm auch die Gelegenheit werden müsse, allein mit ihr zu sprechen. Eine freundschaftliche Zuschrift Obenreizers lade ihn am Neujahrstage zu einem kleinen Familiendiner in Soho-square ein.

»Wir werden nur vier sein,« hieß es in dem Brief. »Wir werden nur zwei sein,« hatte Vendale bei sich beschlossen, »und das noch ehe der Abend vergangen ist.«

In England verbindet sich mit dem Neujahrstag weiter nichts, als die Vorstellung von vielen Diners, die gegeben und angenommen werden müssen. Im Auslande bietet der Neujahrstag die Gelegenheit dar, Geschenke zu geben und zu empfangen. Unter Umständen macht man wohl einmal von der fremden Sitte Gebrauch. Bei den obwaltenden Verhältnissen nahm Vendale keinen Anstand, sie anzuwenden. Die große Schwierigkeit bestand nur darin, was er als Neujahrsgeschenk Magueriten darbringen solle? Der abweisende Stolz der Bauerntochter —— der über alle Begriffe leicht zu verletzen schien, wenn sie auf die Ungleichheit ihrer Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft mit der seinigen kam —— mußte sich empören, wenn er es wagte, ihr eine reiche Gabe zu bieten. Ein Geschenk, welches auch ein Unbegüterter erhandeln könnte, würde das einzige sein, was möglicherweise ein Wort zu Gunsten des Gebers bei ihr sprechen möchte. Standhaft jeder Versuchung widerstehend, die sich in Gestalt von Diamanten und Rubinen in seinen Weg drängte, wählte Vendale eine Broche von Genuesischer Filigranarbeit —— den einfachsten und anspruchslosesten Schmuck, den er im Juwelierladen finden konnte

Er ließ das kleine Geschenk in Margueritens Hand gleiten, als sie ihm dieselbe am Tage, wo das Diner stattfand, zum Willkommen entgegenstreckte.´

»Sie verleben zum ersten Mal den Neujahrstag in England,« sagte er. »Wollen Sie mir erlauben, Sie an die Feier des Neujahrstages in Ihrer Heimath zu erinnern.«

Sie dankte ihm zurückhaltend, als sie das Schmuckkästchen gewahrte, weil sie ungewiß war, was es enthalten möchte? Als sie es geöffnet hatte und die ausgesucht einfache Gestalt, in der sich Vendales kleine Gabe darstellte, bemerkte, verstand sie des Gebers Absicht aus der Stelle. Ihr Antlitz wendete sich ihm zu und ihr Blick sprach deutlich: »Ich bekenne, Sie haben mich erfreut und mir wohlgethan.« Niemals war sie den Augen Vendales so bezaubernd erschienen, als in diesem Augenblick. Ihr Winteranzug, —— ein Rock non dunkler Seide und eine hohe schwarze Sammettaille, die den Hals weich in einen Ring von weißen Schwanen einschloß —— erhöhten durch den gewaltigen Contrast mit denselben, die Schönheit ihres Haares und das zarte Roth ihrer Wangen. Erst als sie sich von ihm wendete und vor den Spiegel hintretend die Brosche aus dem Kästchen nahm, um die Neujahrsgabe an ihren Platz zu stecken, ließ Vendale’s Aufmerksamkeit in soweit Von ihr ab, um die Gegenwart andrer Personen im Zimmer zu entdecken. Es kam ihm zum Bewußtsein, daß Obenreizers Hände ihm zärtlich die Ellenbogen drückten. Er vernahm Obenreizers Stimme, die ihm mit einem so geringen Anflug von Spott wie der —— Ton derselben erlaubte, für die Aufmerksamkeit, die er Marguerite beweise, dankte. ( »Theuerster Sir! Solch ein einfaches Geschenk! Es zeugt von so feinem Takt!«) Er entdeckte endlich, daß noch ein andrer Gast, aber nur noch einer außer ihm, anwesend sei. Obenreizer stellte ihm denselben als seinen Freund und Landsmann vor. Des Freundes Gesicht war wettergebräunt und des Freudes Gestalt plump. Seine Jahre näherten sich dem Herbst des Lebens. »Im Laufe des Abends entwickelte er zwei hervorstechende Eigenschaften. Die eine bestand in dem Talent schweigen zu können, die andre in dem Flaschen zu leeren.

Madame Dor war nicht anwesend, noch wurde, als man sich zu Tische setzte, ein Platz, für sie reserviert. Obenreizer erklärte, daß es die einfache Gewohnheit der guten Dor sei, in der Mittagsstunde zu speisen und daß sie ihre Abwesenheit später selbst entschuldigen werde. Vendale hegte den Argwohn, ob nicht die gute Dor bei dieser Gelegenheit ihr Amt, Obenreizers Handschuhe zu reinigen, mit dem Amt, Obenreizers Speisen zu kochen, vertauscht habe? Das wenigstens steht fest —— die auf getragenen Schüsseln waren, eine wie die andre, Meisterstücke der Kochkunst und erhoben sich weit über die grosse, auf den Anfangsstufen der Entwicklung stehende Englische Kochart. Das Diner war ausgezeichnet, ohne anspruchsvoll zu sein. Was den Wein anbetraf, so weilten die Blicke des schweigsamen Freundes mit unverholenem Entzücken darauf. Mitunter sagte er »Schön!« wenn eine volle Flasche hereinkam und mitunter sagte er »Ach!« wenn eine leere hinausgebracht wurde —— und das war Alles, was er zu dem Vergnügen des Abends beitrug. Schweigen ist ansteckend. Von geheimen Sorgen bedrückt, schien es fast, als ob Marguerite und Vendale den Einfluß, den der stille Freund ausübte, empfänden. Die ganze Verantwortlichkeit, das Gespräch in Gang zu halten, ruhte auf Obenreizers Schultern und Obenreizer entledigte sich tapfer dieser Pflicht. Das Herz ging ihm auf und indem er den aufgeklärten Ausländer spielte, pries er Englands Ruhm. Wenn andere Gegenstände des Gespräches versiegten, kehrte er zu dieser unerschöpflichen Quelle zurück und ließ den Strom des Lobes in ungeschwächter Kraft fluthen. Obenreizer hätte einen Arm, ein Auge oder ein Bein darum gegeben, ein geborener Engländer zu sein. Außerhalb Englands gab es nirgends eine Stätte, wie ein home, gab es nirgends ein Ding wie eine fireside, nirgends annähernd ein schönes Weib. Seine geliebte Miß Marguerite wolle entschuldigen, aber bei ihren Reizen könne er sich nicht anders denken, als daß sich Englisches Blut in früherer Zeit mit dem ihrer niedrigen und unbekannten Vorfahren gemischt habe. Man werfe einen Blick auf die Englische Nation, welch ein kräftiges, reinliches, aufgeblasenes und gediegenes Volk das ist! Man werfe einen Blick auf Englands Städte! Welche Pracht in ihren öffentlichen Gebäuden! welche bewunderungswürdige Ordnung und Sauberkeit auf ihren Straßen! Man staune ihre Gesetze an, die die ewigen Grundregeln der Gerechtigkeit mit andern ewigen Grundregeln von Pfunden, Schillingen und Pfennigen verbinden; die jeder Injurie ihr Sühnengeld auferlegen, von der Ehrenkränkung an, bis zur Kränkung einer Nase! Sie haben meine Tochter auf dem Gewissen —— Pfunde, Schillinge, Pfennige! Sie herben mich durch einen Schlag ins Gesicht niedergestreckt —— Pfunde, Schillinge, Pfennige! Nie kann der materielle Wohlstand eines solchen Landes untergehen! Obenreizer, der einen Blick in die Zukunft warf, sah das Ende desselben nicht ab. Obenreizer bat um die Erlaubniß, seiner Begeisternng nach Englischer Art: in einem Toast Genüge zu thun. Unser bescheidenes kleines Mahl wäre eingenommen, unser frugales Dessert aufgetragen und ein Bewundrer Englands hält der Englischen Sitte gemäß eine Ansprache! Einen Toast den weißen Klippen Albions, Mr. Vendale! den Tugenden seines Volkes, seinem köstlichen Clima und seinen bezaubernden Frauen! seinen firesides und homes, seiner habeas corpus acta und allen seinen Institutionen! Mit einem Wort —— England hoch! hoch! hoch! Hurrah!«

Obenreizer hatte kaum die letzte Silbe des englischen Lebehochs gerufen, der schweigsame Freund kaum den letzten Tropfen im Glase ausgetrunken, als die Festlichkeit durch ein schüchternes Pochen an der Thür unterbrochen wurde. Ein Dienstmädchen kam herein und näherte sich ihrem Herrn, ihm einen Brief überreichend. Obenreizer öffnete den Brief und runzelte die Augenbrauen. Als er ihn mit sichtlichem Unbehagen durchlesen hatte, reichte er ihn seinem Landsmann und Freund. Vendale’s Geister hoben sich, wie er den Vorgang beobachtete. Fand er vielleicht in dem unliebsamen kleinen Papier einen Verbündeten? Sollte die langersehnte Gelegenheit endlich eintreffen?

»Ich bedaure aufrichtig, aber ich kann mir nicht anders helfen!« sagte Obenreizer, sich an seinen Landsmann wendend. »Ich bedaure, aber wir müssen fort.«

Der schweigsame Freund gab den Brief zurück und goß sich ein letztes Glas Wein ein. Seine dicken Finger umschlossen zärtlich den Hals der Flasche. Sie drückten ihn zum Abschied wie Liebhaber, die von dem Gegenstand ihrer Neigung scheiden. Seine hervorstehenden großen Augen blickten trübe, wie durch einen dazwischen lagernden Nebel auf Vendale und Margueriten hin. Seine schwere Zunge mühte sich und brachte endlich einen ganzen Satz zur Welt. »Ich glaube,« sagte er, »ich hätte noch mehr Wein trinken können.« Der Athem ging ihm bei dieser Anstrengung aus. Er schnappte nach Luft und schritt der Thür zu.

Obenreizer wendete sieh mit dem Ausdruck des tiefsten Bedauerns Vendale zu.

»Ich bin erschrocken, verwirrt, betrübt,« fing er an. »Einem meiner Landsleute ist ein Unglück zugestoßen. Er ist allein, kennt Ihre Sprache nicht —— und mir und meinem Freunde hier bleibt keine andere Wahl, als ihm zu Hilfe zu eilen. Was soll ich zu meiner Entschuldigung anführen? Wie kann ich mein Bedauern genügend beschreiben, mich der Ehre Ihrer Gesellschaft entziehen zu müssen?«

Er hielt ein, augenscheinlich, weil er erwartete, Vendale den Hut nehmen und sich verabschieden zu sehen. Vendale aber, der die Gelegenheit für sehr günstig hielt, beschloß nichts dergleichen zu thun. Er schlug Obenreizer geschickt mit dessen eignen Waffen.

»Bitte, beunruhigen Sie sich nicht. Ich warte mit dem größten Vergnügen auf Ihre Wiederkehr.«

Marguerite erröthete, wendete sich hinweg und ging zu ihrem Stickrahmem der in der Fensterecke stand. Der Schatten senkte sich über Obenreizers Augen und ein saures Lächeln umzog seine Lippen. Vendale anzukündigen, daß keine Aussicht auf baldige Wiederkehr wäre, hieß so viel, als einen Mann beleidigen, dessen gute Meinung für ihn in geschäftlicher Beziehung von großer Wichtigkeit war. Das ihm widerwärtige Anerbieten mit möglichster Freude annehmend erklärte er durch Vendale’s Vorschlag eben so geehrt als erfreut zu sein. »So freimüthig! so freundschaftlicht so englisch!« Er suchte geräuschvoll in dem Gemach umher, als vermisse er etwas, verschwand für einen Augenblick hinter der Thür, die in das Nebenzimmer führte, kam mit Hut und Mantel zurück und indem er versprach, so bald wie möglich wiederzukommen, umfaßte er Vendale’s Ellenbogen und war in Begleitung seines schweigsamen Freundes von der Scene verschwunden.

Vendale wollte nach der Fensternische hin, in der Marguerite bei der Arbeit saß. Da, als ob sie vom Himmel gefallen oder aus der Erde aufgetaucht sei —— da in ihrer gewöhnlichen Stellung mit dem Gesicht gegen den Ofen —— saß ein unvorhergesehenes Hinderniß, saß die Person der Madame Dor. Die starke Dame erhob sich ein wenig, sah über ihre breite Schulter Vendale an, um schwer wieder auf ihren Sitz zurück zu sinken. Arbeitete sie wieder? Ja. Reinigte sie Obenreizers Handschuhe? Nein; sie stopfte Obenreizers Strümpfe.

Die Sache stand verzweifelt. Zwei ernste Erwägungen drängten sich Vendale auf. War es möglich, Madame Dor in den Ofen zu stecken? Nein! Sie ging nicht hinein. War es möglich, zu thun, als ob Madame Dor kein lebendes Wesen sei, sondern ein Zimmerschmuck? Konnte er seine Seele dahin bringen, die achtungswerthe alte Dame für eine Commode anzusehen, auf der zufällig ein schwarzer Florkopfputz liegen geblieben war? Ja, dahin konnte er seine Seele bringen. Mit einer verhältnismäßig geringen Anstrengung vollbrachte es dieselbe. Als er auf dem altmodischen Fenstersitz dicht neben Margueriten und ihrer Stickerei Platz nahm, schien die Commode in Bewegung zu gerathen, aber eine Bemerkung entschlüpfte ihr nicht. Es möge hier eingeschaltet sein, daß ein solides Möbel schwer von der Stelle zu rücken ist und in Folge dessen den Vortheil hat —— nicht leicht umzustürzen.«

Ungewöhnlich still und ungewöhnlich gehalten —— die glänzenden Farben waren aus ihrem Antlitz gewichen und eine fieberhafte Hast hatte sich ihrer Finger bemächtigt —— verharrte die hübsche Marguerite über ihrem Rahmen gebeugt und arbeitete, als ob ihr Leben von ihrem Eifer abhinge. Vendale, kaum weniger aufgeregt als sie empfand, wie wichtig es sei, sie zart auf das Geständniß vorzubereiten, welches er sich zu machen sehnte, und wie wichtig es sei, sie zu dem andern süßeren Geständniß zu bringen, welches ihn vor Allem zu hören verlangte. Die Liebe einer Frau ist nicht mit Sturm zu erobern, sie er giebt sich nur nach und nach und unmerklich der ausdauernden Bewerbung. Sie ist nur auf Umwegen zu gewinnen und erhört nur sanfte Stimmen. Vendale führte Marguerite zurück auf ihre Begegnungen in der Schweiz. Sie frischten miteinander die Eindrücke auf, sie riefen sich alle Vorkommnisse in jenen glücklichen Tagen in’s Gedächtniß. Nach und nach verschwand Margueriten’s Zurückhaltung. Sie lächelte, sie wurde lebhaft, sie sah Vendale an, die Nähnadel feierte oder machte falsche Stiche in die Arbeit. Ihre Stimmen wurden leiser und leiser, ihre Köpfe neigten sich einander näher und näher im Sprechen. Und Madame Dor? Madame Dor war ein Engel. Sie sah sich nicht um, sie sagte kein Wort; sie war ganz bei Obenreizers Strümpfen. Jeden Strumpf straff über den linken Arm ziehend und den Arm von Zeit zu Zeit in die Höhe haltend, um mehr Licht bei ihrer Arbeit zu gewinnen, traten Augenblicke ein, köstliche unbeschreibliche Augenblicke, in denen es schien, als ob Madame Dor kopfüber fallen wolle, um eines ihrer eigenen respectablen Beine zu betrachten und Vielleicht wie den Arm mit dem Strumpf in die Luft zu heben. Nach einiger Zeit folgten die Handbewegungen in längeren Zwischenräumen. Wieder und wieder nickte der schwarze Florkopfputz, fiel vornüber und langte sich schleunig selbst wieder auf. Ein Häuflein Strümpfe glitt sanft von Madame Dors Schooß hinab und blieb unbeachtet am Boden liegen. Ein mächtiges Wollknäuel folgte den Strümpfen und kugelte träge unter den Tisch. Der schwarze Florkopfputz nickte, fiel vornüber und langte sich schleunig wieder auf, nickte nochmals, fiel vornüber und kam nicht wieder an seine Stelle. Ein seltsamer Ton, halb wie das Spinnen einer ungeheuren Katze, halb wie Hobeln auf ein mürbes Brett, ließ sich Vernehmen und übertönte die flüsternden Stimmen der Liebenden, in regelmäßigen Zwischenräumen das Zimmer durchsummend. Die Natur und Madame Dor hatten für Vendales Glück entschieden. Die beste der Frauen war eingeschlafen.

Marguerite sprang auf, um dem —— Schnarchen wollen wir nicht sagen —— dem sich hörbarmachenden Schlummer der Mrs. Dor Einhalt zu thun. Vendale legte seine Hand anf ihren Arm und zog sie sanft in den Sessel zurück.

»Sören Sie sie nicht » flüsterte er. »Ich habe darauf gewartet, um Ihnen ein Geheimniß zu vertrauen. Darf ich es sagen?«

Marguerite sank auf ihren Sitz zurück. Sie versuchte die Nadel zu fassen. Sie vermochte es nicht. Ihre Augen versagten; ihre Hand versagte. Sie konnte nichts finden.

»Wir sprachen von der schönen Zeit,« sagte Vendale, »als wir uns zum ersten Mal sahen und zum ersten Mal zusammen reisten. Ich habe ein Geständniß abzulegen. Ich habe Ihnen etwas verheimlicht. Als ich von meinem ersten Besuch in der Schweiz erzählte, habe ich Ihnen alle Eindrücke, die ich mit nach England heimgenommen, geschildert —— ausgenommen einen. Errathen Sie, welcher das ist?«

Ihre Augen hafteten unverrückt auf der Stickerei und ihr Antlitz wendete sich ein wenig von ihm weg. Zeichen von Unruhe wurden in dem hübschen Sammetmieder sichtbar an der Stelle, wo die Broche sich befand. Sie antwortete nicht. Vendale wiederholte seine Frage ohne Erbarmen.

»Errathen Sie, welchen Eindruck ich Ihnen bis heute verheimlicht habe?«

Ihr Antlitz, wendete sich zu ihm zurück und ein schwaches Lächeln zitterte auf ihren Lippen.

»Den Eindruck von den Bergen vielleicht?« sagte sie schelmisch.

»Nein. Einen köstlicheren Eindruck als den.«

»Von den Seen?«

»Die Seen sind mir nicht von Tage zu Tage, wenn ich an sie zurückdachte, theurer geworden. Die Seen sind nicht mit meinem Glück in der Gegenwart und meinen Hoffnungen in der Zukunft verknüpft. Marguerite alles was dem Leben Werth verleiht, hängt an einem Wort aus Ihrem Munde. Marguerite, ich liebe Sie.«

Sie neigte den Kopf herab, als er ihre Hand ergriff. Er sog sie an sich und blickte zu ihr nieder. Thränen drangen aus ihren geschlossenen Augenlidern und rollten langsam die Wangen hinab.

»Ach, Mr. Vendale,« sagte sie traurig, es wäre freundlicher gewesen, wenn Sie Ihr Geheimniß niemals aus gesprochen hätten. Haben Sie den Unterschied vergessen, der uns trennt? Es kann nie, nie geschehen.«

»Es kann uns nur eins von einander trennen, Marguerite —— Ihr Wort. Meine Geliebte, mein Kleinod, es giebt keinen höheren Grad der Herzensgüte, keinen höheren Grad der Schönheit, als Du besitzest. Komm! flüstre mir das eine kleine Wörtchen zu, welches mir versichert, daß Du mein Weib werden willst.«

Sie seufzte schwer. »Denken Sie an Ihre Familie und an die meine,« flüsterte sie.«

Vendale zog sie ein Weniges näher zu sich heran. »Wenn Sie dergleichen Kleinigkeiten nur erwähnen, so muß ich glauben, Sie beleidigt zu haben.«

Sie sah zu ihm empor. »Nein! nein!« rief sie unschuldvoll. In demselben Augenblick, in dem die Worte über ihre Lippen gingen, wurde es ihr klar, welche Auslegung ihnen gegeben werden konnte. Das Bekenntniß war ihr ohne ihr Wollen entschlüpft. Ein liebliches Erröthen überzog ihr Antlitz. Sie machte einen vergeblichen Versuch sich von den Armen des Geliebten los zu machen.

Sie sah ihn flehend an. Sie versuchte zu sprechen. Die Worte starben in dem Kuß, den Vendale auf ihre Lippen drückte. »Lassen Sie mich, Mr. Vendale,« sagte sie schwach.

»Nenne mich George.«

Sie lehnte ihren Kopf an seine Brust. Das Herz strömte ihr über. »George,« flüsterte sie.

»Sage, daß Du mich liebst.«

Ihre Arme umfaßten sanft seinen Nacken. Ihre Lippen berührten schüchtern seine Wange und sie flüsterte die beseligenden Worte —— »Ich liebe Dich!«

Durch das tiefe Schweigen, welches folgte, vernahm man deutlich das Oeffnen und Schließen der Hausthür und um so deutlicher, als auf der Straße Todtenstille herrschte.

Marguerite sprang auf.

»Laß mich fort,« sagte sie. »Er kommt!«

Sie eilte aus dem Zimmer, im Vorübergehen Madame Dor auf die Schulter klopfend. Madame Dor erwachte mit einem lauten Seufzer, sah erst über die eine, dann über die andre Schulter, blickte in ihren Schooß und gewahrte weder Strümpfe, noch Wolle noch Stopfnadel darin. In diesem Augenblicke vernahm man Fußtritte, welche die Treppe heraufkamen. »Mon Dieu!« sagte Madame Dor und wendete sich heftig zitternd dem Ofen zu. Vendale suchte in höchster Eile Strümpfe und Knäul vom Boden auf und schleuderte den ganzen Haufen über die Schulter der Dame. »Mon Dieu!« sagte Madame Dor zum zweiten Mal, als die Wolllawine in ihren geräumigen Schooß niederwetterte. Die Thür öffnete sich,« Obenreizer trat ein. Sein erster Blick in das Zimmer sagte ihm, daß Marguerite fehle! »Was!« rief er aus. Meine Nichte nicht da? Meine Nichte nicht da, um Sie während meiner Abwesenheit zu unterhalten. Das ist unverzeihlich. Ich werde sie sogleich holen.«

Vendale hielt ihn zurück.

»Ich bitte Miß Obenreizer nicht zu stören,« sagte er. »Sie sind ohne Ihren Freund wiedergekommen, wie ich sehe.«

»Mein Freund ist bei unserm unglücklichen Landsmann zurückgeblieben, um ihn zu trösten. Eine herzbrechende Scene, Mr. Vendale! Die Wirthschaft wandert zum Pfandleiher —— die Fantilie schwimmt in Tränen. Wir verstummten Alle. Mein bewunderungswürdiger Freund war der einzige, der Fassung behielt. Er ließ auf der Stelle eine Flasche Wein holen.«

»Könnte ich wohl ein Wort allein mit Ihnen reden, Mr. Obenreizer?«

»Gewiß.« Er wandte sich an Madame Dor. »Meine Beste, Sie bedürfen der Ruhe. Mr. Vendale ist so gütig, Sie zu entschuldigen.«

Madame Dor erhob sich und machte sich seitwärts auf die große Reise vom Ofen in ihr Bett hinein. Sie verlor einen Strumpf. Vendale nahm ihn auf und öffnete ihr die Thür. Sie ging zwei Schritte weiter und verlor drei andere Strümpfe. Vendale, im Begriff dieselben, wie den ersten, aufzulangen, wurde von Obenreizer, der Madame Dor einen warnenden Blick zuwarf, mit einer Fluth von Entschuldigungen daran verhindert. Madame Dor, den Blick gewahrend, ließ den ganzen Haufen Strümpfe fallen und versuchte, von panischem Schrecken erfaßt, so schnell sie in ihrer Schwerfälligkeit vorwärts konnte, die Unglücksscene zu verlassen. Obenreizer ergriff wüthend die ganze Sammlung mit den Händen. »Gehen Sie,« rief er und schwang, sich zum Wurf vorbereitend, die ganze Ladung in die Luft. Madame Dor sagte: »Mon Dieu!« und verschwand im Nebenzimmer, in das ihr ein Hagelschauer von Strümpfen nachfolgte.

»Was müssen Sie, Mr. Vendale, von dem widerlichen Sichaufdrängen solcher häuslichen Beschäftigungen denken?« sagte Obenreizer, indem er die Thür schloß. »Ich für mein Theil schäme mich derselben. Wir fangen das neue Jahr so schlecht wie möglich an. Heut Abend geht Alles schief. Bitte, setzen Sie Sich —— und sagen Sie mir, ob ich Ihnen etwas anbieten darf? Wollen wir wieder einer Ihrer vortrefflichen englischen Sitten Ehre bezeigen? Ich studiere darauf, wie Sie es nennen, »jolly« zu sein. Wie wäre es mit einem Grog?«

Vendale schlug mit aller nöthigen Achtung vor der vortrefflichen englischen Sitte den Grog aus.

»Ich möchte mit Ihnen über eine Angelegenheit sprechen, die mich tief berührt,« sagte er. »Es kann Ihnen nicht entgangen sein, Mr. Obenreizer, daß ich vom ersten Augenblick an eine mehr als gewöhnliche Bewunderung für Ihre reizende Nichte empfunden habe?«

»Sie sind überaus gütig. Ich danke Ihnen im Namen meiner Nichte dafür.«

»Vielleicht ist es Ihnen auch nicht entgangen, daß später meine Bewunderung für Miß Obenreizer zu einem innigeren und tieferen Gefühl angewachsen ist?«

»Wir wollen es Freundschaft nennen, Mr. Vendale.«

»Rennen Sie es Liebe und Sie werden der Wahrheit näher kommen.«

Obenreizer sprang von seinem Stuhl auf. Der schwache kaum sichtbare Streifen, der andeutete, daß er gern die Farbe wechseln möchte, wurde plötzlich auf seinen Wangen bemerklich.«

»Sie sind Miß Obenreizers Vormund.« fuhr Vendale fort. »Ich fordere von Ihnen die höchste Gunst, die mir werden kann —— ich fordere von Ihnen die Hand Ihrer Nichte.«

Obenreizer sank in den Stuhl zurück. »Mr. Vendale,« sagte er, »Sie sehen mich zu Stein erstarrt.«

»Ich werde warten,« erwiderte Vendale, »bis Sie Sich gesammelt haben.«

»Nur ein Wort noch, ehe ich mich zu sammeln versuche. Sie haben meiner Nichte nichts davon gefragt?«

»Ich habe Ihrer Nichte mein ganzes Herz ausgeschüttet, und habe Grund zu hoffen ——«

»Was!« unterbrach ihn Obenreizer. »Sie haben meiner Nichte einen Antrag gemacht, ohne mich zu fragen, ob ich meine Erlaubniß dazu gebe?« Er schlug mit der Hand anf den Tisch und verlor zum ersten mal, seitdem Vendale ihn kannte, völlig die Fassung. »Sir!« rief er empört, »was ist das für eine Art sich zu betragen? Ich frage als ein Ehrenmann einen andern Ehrenmann: Wie können Sie das rechtfertigen?«

»Es rechtfertigt sich dadurch,« sagte Vendale ruhig, »daß ich nach englischer Sitte gehandelt habe. Sie bewundern ja alle unsere englischen Gewohnheiten. Ich kann nicht einmal mit Aufrichtigkeit vorgeben das zu bedauern, was ich gethan habe, Mr. Obenreizer. Ich kann nur versichern, daß ich nicht beabsichtigt habe, in dieser Angelegenheit einen Mangel an Achtung gegen Sie herauszukehren. Nachdem ich das gesagt habe, darf ich Sie wohl ersuchen, mir offen mitzutheilen, welcher Grund Sie bewegt, meine Werbung nicht zu begünstigen?«

»Der unumstößliche Grund,« erwiderte Obenreizer, »daß meine Nichte in der Gesellschaft mit Ihnen nicht auf gleicher Stufe steht. Meine Nichte ist die Tochter —— eines armen Bauern, und Sie sind der Sohn eines Gentleman. Sie erzeigen uns eine Ehre,« setzte er hinzu, sich nach und nach wieder zu seinem gewöhnlichen höflichen Ton hinaufstimmend, »welche unsrerseits die dankbarste Anerkennung verdient, aber die Ungleichheit ist zu auffallend, das Opfer ist zu groß. Ihr Engländer seid eine stolze Nation, Mr. Vendale Ich habe lange genug in diesem Lande gelebt, um zu wissen, daß eine solche Heirath, wie Sie sie beabsichtigen, ein allgemeines Aergerniß abgäbe. Keine Hand würde sich Ihrem Weibe, der Bäuerin, entgegenstrecken und Ihre besten Freunde würden Sie verlassen.«

»Einen Augenblick!« rief Vendale, den Redenden unterbrechend. »Ohne große Anmaßung werde ich wohl das Recht in Anspruch nehmen können, meine Landsleute im Allgemeinen und meine Freunde im Besonderen besser zu kennen, als Sie. In der Achtung Derjenigen, an deren Meinung überhaupt etwas gelegen ist, wird meine Gattin selbst die genügendste Rechtfertigung meiner Wahl abgeben. Wenn ich nicht ganz sicher wäre —— ich bitte zu bemerken, daß ich »ganz sicher« sage —— ihr eine Stellung bieten zu können, die sie anzunehmen vermag, ohne der leisesten Spur von Demüthigung ausgesetzt zu sein, so würde ich sie nie, möchte es mir kosten, was es wollte, gebeten haben, mein Weib zu werden. Sehen Sie noch irgend sonst ein Hinderniß? Haben Sie eine Einwendung gegen meine Person zu machen?«

Obenreizer wehrte mit beiden aufgespreizten Händen die Beschuldigung höflichst von sich ab. »Eine Einwendung gegen Ihre Person!« rief er aus. »Theurer Sir, schon die bloße Frage ist mir schmerzlich.«

»Wir beide sind Geschäftsmänner,« fuhr Vendale fort. »Sie erwarten natürlich von mir eine Darlegung meiner Verhältnisse, die Ihnen beweist, daß ich eine Frau sicher zu stellen vermag. Ich kann meine pekuniäre Lage in zwei Worten schildern. Ich erbte von meinen Eltern ein Vermögen von zwanzig Tausend Pfund. Von der Hälfte dieser Summe beziehe ich eine Rente, welche, wenn ich sterbe, auf meine Wittwe übergeht. Sollte ich Kinder hinterlassen, so würde das Capital unter sie vertheilt werden, nachdem sie großjährig geworden sind. Die andre Hälfte meines Vermögens steht zu meiner eigenen Verfügung und steckt augenblicklich in dem Weingeschäft. Ich sehe genau, auf welche Art sich das Geschäft bedeutend heben muß. Wie die Sachen jetzt liegen, bin ich außer Stande, im Augenblick die Rückzahlung des Capitals zu verlangen, das mir mehr als zwölf Hundert Pfund jährlich einträgt. Zählen Sie den Zins meiner Rente dazu, so erreicht die Totalsumme meiner jährlichen Einkünfte in diesem Augenblick fünfzehn Hundert Pfund. Ich habe die beste Aussicht, dieselben bald zu vermehren. Haben Sie gegen meine pekuniären Verhältnisse eine Einwendung zu machen?«

Obenreizer stand auf. Er war in die letzte Verschanzung zurückgetrieben und ging rathlos im Zimmer auf und nieder. Er wußte in der That nicht, was er zunächst thun oder sagen sollte.

»Weror ich die letzte Frage beantworte,« sagte er nach einer kurzen Berathung mit sich selbst, »Bitte ich, mich einen Augenblick entschuldigen zu wollen. Ich muß mit Miß Marguerite Rücksprache nehmen. Sie ließen eine Aeußerung fallen, die andeutete, daß Sie die Gesinnungen, mit denen Sie so freundlich sind, meine Nichte zu betrachten, erwidert glauben?«

»Ich bin so unauesprechlich glücklich,« sagte Vendale, zu wissen, daß sie mich liebt.«

Obenreizer schwieg einen Augenblick; der Schatten senkte sich über seine Augen, und der kaum bemerkbare Streifen wurde aus seinen Wangen sichtbar.

»Wenn Sie mich eine kurze Zeit entschuldigen wollen,« sagte er mit ceremoniöser Höflichkeit, »ich möchte gern ein paar Worte mit meiner Nichte sprechen.« Er verbeugte sich und Verließ das Zimmer.

Als Vendale sich allein befand, kehrten seine Gedanken (eine nothwenidige Folge der gehabten Unterredung) zu den Gründen zurück, die Obenreizer ihm entgegen gehalten hatte, und er begann dieselben in Erwägung zu ziehen. Obenreizer hatte seiner Werbung Hindernisse in den Weg gelegt, jetzt fing er an seiner Heirath entgegen zu arbeiten —— einer Heirath, die selbst die eigene Bescheidenheit als eine vorteilhafte anerkennen mußte. In Anbetracht dessen erschien Obenreizers Handlungsweise unbegreiflich. Was hatte sie zu bedeuten?

Vendale suchte eine Antwort auf diese Frage. Es fiel ihm ein, daß Obenreizer mit ihm in einem Alter sei und Marguerite, genau genommen, nur dessen Stiefnichte. Die Eifersucht des Liebenden erwachte in ihm, und er fragte sich selbst, ob er in Obenreizer mehr einen Nebenbuhler zu fürchten, als einen Vormund zufrieden zu stellen habe? Doch fuhr ihm der Gedanke nur durch den Sinn, um gleich wieder zu verschwinden. Marguerites Kuß, den er noch auf seiner Wange fühlte, erinnerte ihn freundlich, daß Eifersucht, wenn auch nur für einen Augenblick empfunden, ein Verrath an ihr sei.

Bei näherem Nachdenken schien es ihm, als ob ein Beweggrund anderer Art die Erklärung zu Obenreizers Benehmen liefern könne. Marguerite’s Anmnth und Schönheit waren köstliche Zierden des kleinen Haushalts. Sie verliehen ihm einen besonderen Reiz und sicherten Obenreizer einen besonderen Einfluß in geselliger Beziehung. Sie rüsteten ihn mit einem Mittel aus, sein Haus anziehend zu machen, ein Mittel, welches mehr oder weniger dazu beitragen konnte, seine Privatzwecke zu fördern. War er der Mann, auf solche Vortheile zu verzichten, ohne daß ihm die möglichste Entschädigung dafür würde? Vendale’s Heirath mit seiner Nichte bot ihm ohne alle Zweifel beträchtliche Vortheile, aber es gab Hunderte in London, die mehr Ansehen und größeren Einfluß als Vendale besaßen. War es nicht denkbar, daß der Ehrgeiz dieses Mannes ganz im Geheimen höher hinaus wollte, als zu Vortheilen, wie sie ihm die Verbindung bot? Als Vendale sich eben die Frage im Geist aufwarf, erschien der Mann in Rede selbst, um sie zu beantworten oder nicht zu beantworten, wie die Folge lehren wird.

Eine große Veränderung machte sich bei Obenreizer bemerkbar, als er seinen früheren Platz wieder einnahm. Seine Haltung war weniger sicher und um seinen Mund zeigten sich Spuren einer Erregung, deren er noch nicht ganz Herr zu fein schien. War ihm von sich selbst oder von Vendale etwas über die Lippen geschlüpft, was Marguerite’s Zorn gereizt und ihr eine bestimmte Erklärung entlockt hatte? Es konnte sein oder auch nicht. Das Eine war sicher —— er sah aus wie Jemand, der eine Zurückweisung erfahren hat.

»Ich habe mit meiner Nichte gesprochen« begann er, »und mich überzeugt, daß selbst Ihr Einfluß, Mr. Vendale, dieselbe nicht blind gemacht hat gegen Hindernisse, die sich in Bezug auf die gesellschaftliche Stellung gegen Ihren Antrag aufthürmen.«

»Darf ich fragen« erwiderte Vendale, »ob das das ganze Ergebniß Ihrer Unterredung mit Miß Obenreizer ist?«

Durch den Schatten, der Obenreizers Geücht bedeckte, flammte es wie ein Blitz.

»Sie sind Herr der Situation,« antwortete er mit höhnisch unterwürfigem Ton. »Wenn Sie auf einer Erklärung bestehen, so gebe ich sie Ihnen in folgenden Worten. Meiner Nichte Wille und der meinige sind bis jetzt eins gewesen, Mr. Vendale. Sie haben sich zwischen uns gestellt und fortan fällt der Wille meiner Nichte mit dem Ihrigen zusammen. Bei mir zu Lande geben wir es zu, wenn wir aus dem Felde geschlagen sind und finden uns mit Anstand darin. Ich werde mich auch mit Anstand darin finden unter einer Bedingung. Lassen Sie uns auf Ihre pecuniären Verhältnisse zurückkommen. Ich habe einen Einwand gegen Sie zu erheben, mein theurer Sir —— einen sehr überraschenden kühnen Einwand für Jemand in meiner Lebenslage einem in der Ihrigen gegenüber.«

»Welchen?«

»Sie haben mich mit einer Werbung um die Hand meiner Nichte beehrt. Trotz allem Dank und aller Erkenntlichkeit, muß ich bitten, dieselbe für jetzt zurück zu nehmend.

»Warum?«

»Weil Sie nicht reich genug sind.«

Dieser Einwand, wie der Redner vorausgesehen hatte, überraschte Vendale aufs Höchste. Für einen Augen blick war er sprachlos.

»Ihr Einkommen beläuft sich auf fünfzehn hundert Pfund jährlich,« fuhr Obenreizer fort. »In meinem armen Vaterlande würde ich vor einem solchen Einkommen auf die Knie fallen und rufen: Welch ein fürstliches Vermögen! Im reichen England bleibe ich ruhig sitzen und denke: Eine bescheidene Selbstständigkeit, theurer Sir; nichts mehr; vielleicht ausreichend für ein Weib aus Ihrer Lebenssphäre, die keine gesellschaftlichen Vorurtheile zu bekämpfen hat, aber nicht halb genug für eine niedrig geborene Ausländerin, gegen welche sich alle gesellschaftlichen Vorurtheile auflehnen. Sir! wenn meine Nichte Sie jemals heirathet, so wird sie beim Beginn ihrer Ehe eine mühselige Arbeit vor sich haben, um ihre Stellung zu behaupten. Ja, ja. Sie sehen es nicht so an, aber es bleibt —— bleibt unwiderruflich meine Ansicht von der Sache. Zum Besten meiner Nichte verlange ich, daß ihr die mühselige Arbeit so viel wie möglich erleichtert werde. Die Gerechtigkeit gebietet, ihr alle äußeren Vortheile, die ihr dabei Von Nutzen sein können, zu gewähren. Sagen Sie mir doch, Mr. Vendale, kann Ihre Frau von den erwähnten fünfzehn hundert Pfunden jährlich ein Haus in einem vornehmen,Stadtviertel, einen Lakaien, der ihr die Zimmerhür öffnet, einen Kammerdiener, der sie bei Tische bedient, und Wagen und Pferde haben, die sie fahren? ich lefe die Antwort auf Ihrem Gesicht —— Ihr Gesicht sagt: Nein. Gut. Beantworten Sie mir noch eine Frage und ich bin zu Ende. Gehen wir die Gesamtheit Ihrer wohlerzogenen gebildeten und liebenswürdigen Landsmänninnen durch, ist es oder ist es nicht Thatsache, daß eine Lady, die Ein Haus in einem vornehmen Stadttheil, einen Lakaien, der ihre Zimmerthür öffnet, einen Kammerdiener, der sie bei Tische bedient, und Wagen und Pferde um sie zu fahren besitzt, von vorn herein vier Schritte in der Achtung aller englischen —— Frauen steigt? Ja oder nein?«

»Kommen Sie zur Sache,« sagte Vendale. »Sie sehen diese Frage für eine entscheidende an. Was sind Ihre Bedingungen?«

»Meine Bedingungen sind niedrig, theurer Sir, sie beschränken sich darauf zu verlangen, daß Ihre Frau in Stand gesetzt werde, gleich im Beginn des Ehestandes jene Vier Schritte in der Achtung der Leute zu thun.

Verdoppeln Sie Ihr gegenwärtiges Einkommen —— die größte Sparsamkeit kann in England dergleichen, wie ich angeführt habe, nicht mit weniger bestreiten. Sie erwähnten eben Ihrer Hoffnung, die Einnahmen Ihres Geschäftes sich bedeutend heben zu sehen. An’s Werk! —— heben Sie! heben Sie! Ich bin Alles in Allem verteufelt gutmüthig. An dem Tage, an dem Sie mich durch klare Beweise üherführen können, daß Ihre Einkünfte sich auf dreitausend Pfund jährlich belaufen, kommen Sie und werben Sie noch einmal um die Hand meiner Nichte und sie ist die Ihre.«

»Darf ich fragen, ob Miß Obenreizer um diese Bedingung weiß?«

»Gewiß. Es ist noch ein wenig Gehorsam für mich in ihr, Mr. Vendale, das Ihnen nicht gehört; sie hat meine Bedingung angenommen. Mit einem Wort, sie unterwirft sich den Ansichten ihres Vormundes in Bezug auf ihr Wohlergehen, sie achtet ihres Vormundes bessere Kenntniß der Welt.« Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück mit der ganzen Sicherheit, die ihm seine Stellung verlieh und im vollen Besitz seiner guten Laune.

In der Lage, in der sich Vendale hefand, schien jedes Streiten für die eigene Meinung im Augenblick wenigstens hoffnungslos zu sein. Es lag am Tage, daß kein Grund vorhanden war, seine Werbung abzulehnen. Ob Obenreizers Widerstand wirklich das Ergebnis; von dessen Ansicht über die Sache war, ob er die Heirath nur in der Hoffnung hinausschob, sie endlich vollständig zu vereiteln —— wer konnte es wissen? In beiden Fällen aber war das dagegen Ankämpfen Vendales völlig nutzlos. Es gab kein andres Mittel, als sich zu fügen und das unter so guten Bedingungen, als zu erlangen möglich waren.

»Ich thue Einspruch gegen die Forderungen, die Sie erheben begann er.«

»Natürlich« sagte Obenreizer. »Ich muß sagen, daß ich in Ihrer Stelle auch Einspruch thun würden.«

»Wenn ich mir dennoch dieselben gefallen lasse.« fuhr Vendale fort, »so bin ich so frei, mir zwei Punkte auszumachen. Erstens erwarte ich, daß es mir gestattet werde, Ihre Nichte aufsuchen zu dürfen!«

»So, so? —— Meine Nichte aufsuchen zu dürfen, damit Sie ihr ebensolche Angst um das Heirathen einflößen können, als Sie selbst beseelt? —— Wenn ich nein sagte, würden Sie ohne meine Erlaubniß kommen?«

»Unzweifelhaft.«

»Welcher köstliche Freimut! Wie durch und durch Englisch! Sie sollen sie sehen, Mr. Vendale, sollen sie sehen an bestimmten Tagen, die wir miteinander festsetzen wollen. Was noch?«

»Ihr Einwand gegen meine Vermögensverhältnisse,« fuhr Vendale fort, »hat mich vollständig überrascht. Ich möchte mich vor der Wiederholung einer solchen Ueberraschung sicher stellen. Ihre jetzigen Ansichten halten mich mit einem Einkommen von dreitausend Pfund jährlich für geeignet zum Heirathen, kann ich sicher sein, daß sich in der Zukunft Ihre Ansichten über England nicht erweitern und Ihre Forderungen mit denselben steigen werden?«

»Auf gut Englisch, sagte Obenreizer, »Sie zweifeln an meinem Wort?«

»Sind Sie gesonnen, es mir auf mein Wort zu glauben, wenn ich Sie benachrichtigte, daß sich mein Einkommen verdoppelt habe?« fragte Vendale. »Wenn mich mein Gedächtniß nicht trügt, so sprachen Sie eben von klaren Beweisen?«

»Gut ausgedacht, Mr. Vendale! Sie vereinigen die Schnelligkeit des Ausländers mit der Gründlichkeit des Briten. Erlauben Sie mir, Ihnen von Herzen zu gratuliren, und erlauben Sie mir, Ihnen eine schriftliche Garantie für mein Wort auszustellen.«

Er erhob sich, setzte sich an sein Schreibpult, warf einige Zeilen auf das Papier und überreichte sie Vendale mit einer tiefen Verbeugung. Die gegenseitigen Verpflichtungen waren klar auseinandergesetzt und mit gewissenhafter Pünktlichkeit unterschrieben und untersiegelt.

»Genügt Ihnen diese Garantie?«

»Vollständig.«

»Erfreut es zu hören, versichre ich Sie, wir haben ein kleines Scharmützel ausgefochten —— wir sind wahrhaftig auf beiden Seiten bewundrungswürdig schlau zu Werke gegangen. Jetzt sind unsere Geschäfte abgemacht. Ich trage nie etwas nach. Sie tragen auch nichts nach. Kommen Sie, schütteln wir uns auf gut Englisch die Hand.«

Vendale reichte etwas erschreckt von Obenreizers plötzlichem Uebergang aus einem Extrem in das andere, seine Hand hin.

»Wann habe ich die Erlaubniß. Miß Obenreizer zu sehen?« fragte er, als er sich zum Gehen anschickte.

»Beehren Sie mich morgen mit Ihrem Besuch,« sagte Obenreizer, »und wir wollen dir Zeit festsetzen. Kann ich Ihnen einen Grog anbieten, ehe Sie gehen?« Nein? Gut, gut, wir wollen den Grog versparen bis zu den dreitausend Pfund jährlich und bis zur Hochzeit. Wann Wann wird das sein?«

»Ich habe vor einigen Monaten einen Ueberschlag gemacht von dem, was das Geschäft zu leisten vermag,« sagte Vendale. »Wenn derselbe richtig ist, so wird sich mein jetziges Einkommen verdoppeln. ——«

»Und die Hochzeit stattfinden,« setzte Obenreizer hinzu.

»Und die Hochzeit stattfinden,« wiederholte Vendale, »in Zeit von einem Jahr. Gute Nacht.«


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